Oranienburg (MOZ) Mein Vater wollte, dass ich Pfarrer werde, aber ich wurde Apotheker." Friedlieb Ferdinand Runge steht auf dem Oranienburger Schlossplatz und wirft sich die glänzend schwarzen langen Haare zurück. "Bilsenkraut musste ich zerdrücken bei dem Apotheker, bei dem ich arbeitete. Da spritzte mir ein Tropfen ins Auge. Ich sah in den Spiegel. Die Pupille war geweitet – Atropin!"
Er habe dann damit weiter experimentiert, sich die Tropfen mutwillig appliziert. "Das kriegen Sie in etwas anderer Form heute noch beim Optiker verabreicht", sagt er den Frauen und Männern, die ihn umstehen. Die lauschen und nicken ab und zu wissend, wenn er von Oranienburgs Geschichte und von der großen Ahnherrin Louise Henriette erzählt.
Goethe hat Runge gekannt
So wird er es in seinem Leben noch häufiger erfolgreich machen: einen Zufallsfund beobachten und ihn für eine nützliche Anwendung weiterentwickeln. Auch das Indigo verdankt er vielleicht einem Fleck auf seinem Ärmel.
Zu einer ersten Beschreibung des Stoffs Koffein soll Johann Wolfgang von Goethe höchstselbst Friedlieb Ferdinand Runge animiert haben. Dass sie sich getroffen haben, ist durch Goethe selbst verbürgt. "Ich lernte einen Chemiker Runge kennen. Der scheint auf gutem Weg zu sein", schrieb er über den jungen Mann.
Geboren wurde Runge 1794 in Hamburg. Er absolvierte zuerst eine Apothekerlehre in Lübeck. Anschließend studierte er Medizin und wandte sich dann aber der noch neuen Wissenschaft der Chemie zu. In Oranienburg traf er auf den Apotheker Hempel. Der hatte das Schloss gekauft und darin eine Schwefelsäurefabrik eingerichtet, die spätere Chemische Produktenfabrik. In der Folge sind in Oranienburg mehrere chemische Werke entstanden.
"Der Bäcker Plentz huldigt meiner Person in seiner Bäckerei", sagt Runge nebenbei und deutet über den Platz. Denn in dem Geschäft gibt es Informationen über den Mann, der 1832 als 38-Jähriger nach Oranienburg kam und für immer blieb.
"Die Schwefelsäure hat mich angelockt", sagt Runge. Friedlieb Ferdinand Runge alias Rüdiger Kaddatz: Der gibt einen veritablen Runge in mittleren Jahren, der mit Begeisterung von seiner Arbeit und von seinen Entdeckungen erzählt. Die Arbeit ist es auch, über die Runge meistens definiert wird, die sein Leben wohl bestimmt hat. Frau und Kinder hatte er jedenfalls nicht.
Dass bei der Leuchtgas- und Koksherstellung aus Steinkohle so viel scheinbar nutzloser Steinkohleteer anfällt, der als Abfall entsorgt werden muss, beschäftigt Runge. Er isoliert und gewinnt aus dem Steinkohleteer mehrere Grundstoffe für Produkte der chemischen Industrie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das bekannteste ist das Anilin.
"Mein Forscherdrang hat mich gepackt", lässt Kaddatz, der sich in die Materie gut eingelesen hat, es seinen Runge formulieren. Er trägt ein leicht historisch aussehendes Hemd, das am Kragen mit Bändern zusammengehalten wird, und er hat eine alte Tasche bei sich, mit der er dem guten Dutzend Zuhörer zu den wenigen Stationen voraneilt.
Hinterm Schloss geht es vorbei bis auf die Brücke am Hafen. Denn das Schloss wurde später geräumt, und die Fabrik wurde aufs Mühlenfeld versetzt. Die Mühlen, von denen es seinen Namen hat, standen hier schon zu Runges Zeit nicht mehr. Auf der grünen Wiese ist ein riesiges Fabrikgelände entstanden. Kaddatz hat eine Ansicht dabei, die um die Wende zum 20. Jahrhundert entstanden ist.
Die Stearin-Kerze hat dank Runge massenhaft Einzug in die Haushalte gehalten, die zuvor mit Tranfunzeln und Petroleum schwach erleuchtet wurden. Mit Palmöl-Zusatz roch es sogar gut. Mit Dünger hat er sich ebenso beschäftigt wie mit Farbstoffen, und gute Ratschläge gab er auch: "Essig und Essigsäure und ihre Beziehung zum Hauswesen" hat Runge beschrieben.
Die zwei Runges
Schließlich stehen am alten Haus der Chemischen Produktenfabrik in der Sachsenhausener Straße, Runges Wirkungsstätte als technischer Direktor für 20 Jahre, an Stephan J. Möllers Statue zwei Runges nebeneinander. Das Denkmal trägt Corona-gerecht sogar Mundschutz. Demonstrativ holt der andere Runge einen Erlenmeyerkolben und ein Reagenzglas aus seiner alten Tasche.
Und Kaddatz? Der nimmt wenig später die glänzende Perücke ab und bekommt Beifall für seine kenntnisreichen Ausführungen. "Der Runge wird nicht so richtig gewürdigt", findet er. Das will er ändern. Immerhin war er ein wenn auch zugezogener großer Sohn der Stadt. Ob er denn selbst auch Oranienburger sei, wird der Jungrentner gefragt, der für die TKO auch schon mal in die Rolle des Nachtwächters schlüpft und effektvoll Gruselgeschichten erzählt, gefragt. Der Schmachtenhagener zögert nur ganz kurz. "Ja, ich bin Oranienburger", sagt er dann. Sieglinde Rudolph aus Malz hat die gut einstündige Tour gefallen."Es war toll", sagt Ingrid Fischer aus Friedrichsthal, und ihr Mann Wolf-Rüdiger Fischer pflichtet ihr bei. Ingrid Fischer meint Rüdiger Kaddatz, aber vor allem auch Runge: "Es ist enorm, was ein Mensch leisten kann."
July 20, 2020 at 01:51AM
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Stadtführung: Mit Friedlieb Ferdinand Runge durch Oranienburg - Märkische Onlinezeitung
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